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Navid Sadrosadat Tschopp

13. Februar  bis 1. Mai 2016

Wenn es eine Konstante gibt im Werk des 1978 geborenen Künstlers Navid Tschopp, dann ist es die Suche nach Verbindlichkeit und Relevanz. So ist die eigene kulturelle Verwurzelung zwischen Orient und Okzident ein wiederkehrendes Element in seinem Schaffen. Für die Installation, die er im Kunstraum Baden aufgebaut hat, ist es zentral. Der Zürcher Künstler richtet den Fokus auf sein familiäres Umfeld u.a. auch auf seinen Vater, den iranischen Künstler Mehran Sadrosadat.

© Fotos von Rolf Bismarck

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Im Herbst 2012 schrieb Navid Tschopp in Grossbuchstaben das Wort «Resistance» an die Fassade des Nagelhauses an der Zürcher Turbinenstrasse – in der exakt gleichen Schrift wie das Hotel Renaissance. Diese Setzung kam in die Schlagzeilen und brachte ihn ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Der Künstler – halb Iraner, halb Schweizer – liebt das politisch Hintergründige. Seine Interessen sind breit gestreut und seine Arbeiten äusserlich sehr verschieden. Wenn es eine Konstante gibt im Werk des 1978 geborenen Künstlers, dann ist es die Suche nach Verbindlichkeit und Relevanz. So ist die eigene kulturelle Verwurzelung zwischen Orient und Okzident ein wiederkehrendes Element in seinem Schaffen. Für die Installation, die er im Kunstraum Baden aufgebaut hat, ist es zentral. Navid Tschopp richtet den Fokus auf sein familiäres Umfeld u.a. auch auf seinen Vater, den iranischen Künstler Mehran Sadrosadat. Dieser autobiografische Aspekt hat durch den Umstand, dass Navid Tschopp demnächst Vater wird, noch zusätzlich an Bedeutung gewonnen. So macht es durchaus Sinn, dass er uns zum Ausstellungsauftakt mit einem Stammbaum empfängt. Die einzelnen Familienmitglieder sind jeweils mit Werken aus ihrer Hand vertreten. Zwei Papierarbeiten von Navids Vater Mehran Sadrosadat, dazu ein Blumenbild von Navids Mutter Katharina Tschopp aus ihrer Iraner Zeit, daneben eine Holzarbeit aktuellen Datums. Von Navids Lebenspartnerin Lina Tyroller stammt ein Set Strandszenen auf Keramikkacheln, von ihrem Vater Dazi Tyroller zwei expressive Gemälde, zwei zartfarbene Aquarelle aus der Hand von ihrer Mutter Inge Schumacher Tyroller. Vom Baby, das die zwei sehr verschiedenen Familien verbindet, kennen wir heute bloss den Geburtstermin am 24 Februar 2016. Eines ist allerdings jetzt schon klar: Im Kontext von so viel handwerklicher Raffinesse ist Navid Tschopp fast ein Exot. Das Foto seiner Intervention an der Zürcher Turbinenstrasse weist ihn als Konzeptkünstler aus. Im Zentrum seiner Arbeiten stehen Kontexte und Ideen, das Handwerkliche ist nicht bedeutungslos, aber doch zweitrangig.

Links vom Stammbaum hängt in einem Leuchtkasten ein Röntgenbild, das kurz vor Navids Geburt 1978 im Iran erstellt wurde. Man sieht die Wirbelsäule der Mutter und den Schädel des Kindes in korrekter Lage in ihrem Becken. Da im Röntgenbild – anders als im heutigen Ultraschall – statt dem Körpervolumen die Knochen sichbar sind, kommt gleich am Anfang der Ausstellung im Subtext auch eine Bildwelt ins Spiel, die man mit dem Tod in Verbindung bringt.

Diese Assoziation ist nicht nur als existenzielles Statement grundsätzlicher Art zu lesen, sondern macht auch aus zeithistorischer Perspektive Sinn: Navid Tschopp kam kurz vor der Islamischen Revolution im Iran zur Welt  und seine ersten Lebensjahre fielen mit dem Iran-Irak Krieg (1980-1988) zusammen. Dieser Zeit setzt Navid Tschopp im grossen zentralen Raum ein Denkmal.

Kernstück ist eine Garteninstallation – ein parzelliertes Beet mit Katzengras und Tulpen. Die geometrische Form wirkt vertraut. Sie ist der Ornamentik von Orientteppichen, die auch bei uns weit verbreitet sind, entlehnt. Nur, die chaotische Füllung mit Bauschutt, Armierungseisen und vereinzelten Patronenhülsen konterkariert natürlich das ordentliche Bild. In einem bürgerlichen Wohnzimmer hat diese Rabatte nichts verloren – weder bei uns, noch im Iran. Da passen die an die Wand tapezierten Fotos von zerstörten Häusern schon besser. Dass sie aus einem aktuellen Kriegsgebiet, aus Homs oder Aleppo, stammen könnten, verleiht der Installation eine überzeitliche Dringlichkeit.

Eindeutig zeitgebunden hingegen wirken die expressiven Bilder von Mehran Sadrosadat, die Navid Tschopp als Reproduktionen auf der Nebenwand inszeniert hat. Martialische Motive und eine Farbigkeit, die an Blut erinnert: Die Ikonografie vermittelt sich aus westlicher Perspektive als bedrohlich, die ideologische Ausrichtung ist allerdings alles andere als eindeutig. Im Fall seines Vaters puffert Navid Tschopp die unguten Gefühle ab. So ist das Motiv der Tulpe zwar als Symbol für Märtyrerblut ein wiederkehrendes Element in der Propaganda des iranischen Gottesstaates. Im Ausstellungraum gepflanzt, transportieren die Blumen aber auch versöhnliche Assoziationen ­– und wecken ganz einfach Frühlingsgefühle.

Interessanterweise sind die Bilder, die Navids Vater in den achtziger Jahren gemalt hat, sehr stark von westlichen Vorbildern geprägt. Man fühlt sich an El Greco, Arnold Böckli, Max Ernst, Picasso oder HR Giger erinnert: Mehran Sadrosadat war und ist mit der abendländischen Malereitradition bestens vertraut. In den siebziger Jahren schickte ihn seine Familie nach Rom, um Dentalmedizin zu studieren. Dort lernte er die Schweizer Sprachlehrerin Katharina Tschopp kennen. Es ist wohl auch ein wenig ihrem freiheitlichen Einfluss zu verdanken, dass Mehran  heimlich die Fakultät wechselte und 1977 sein Studium an der «Academia dei belli arti» abschloss. Nach seiner Rückkehr in den Iran war er dann einer der ersten, die ein westliches Kunstverständnis pflegten und die traditionelle iranische Malerei entsprechend weiterentwickeln wollten.

Beispiele für Mehran Sadrosadats Fusion von europäischen und iranischen Einflüssen finden sich in dieser Ausstellung einige. Da gibt es zum Beispiel ein 1975 gemaltes Bild, das unverkennbar an einen Appenzeller Alpaufzug erinnert. Ebenso die beiden Gemälde, die das Matterhorn zeigen. Diesen setzt Navid ein eigenes, drittes Matterhorn entgegen. Der Goldrand des Gemäldes ist eine unverkennbare Referenz auf persische Vorbilder. Die stilisierten Wolken identifizieren wir – richtig - als ursprünglich chinesisch. Über die Handelsrouten der Seidenstrasse kam das Wolkenmotiv bereits vor vielen Hunderten von Jahren nach Persien, wo es in die Miniaturmalerei Eingang fand.

Austausch, Aneignungen und Umwertungen durchziehen diese Ausstellung wie ein roter Faden – nicht nur zwischen den Navid und seinem Vater, nicht nur zwischen Ost und West und West und Ost –  sondern auch in Navid Tschopps eigener ästhetischer Praxis. Im Ramadan-Tagebuch zB dokumentiert er einen Selbstversuch aus dem Jahr 2010. Während 28 Tagen unterstellte er sich dem harten Regime des muslimischen Ramadan. An der Hälfte der Tage gelang ihm das. 14 mal hingegen scheiterte er: An einem Tag trank er Orangensaft, an einem anderen Tag ass er ein paar Trauben, an einem andern rauchte er oder hatte trotz Verbot Sex. Zu den Spielregeln des selbstauferlegten Regimes gehörte, dass er seine Übertretungen sühnte, indem er den Gegenstand seiner «Sünde» malte.

Verweise, Bezüge und Querbezüge durchziehen diese Ausstellung wie ein dichtes Netz und binden auch äusserlich Heterogenes zusammen. Navid Tschopp hat sie gut durchdacht und setzt mit bewusstem Kalkül. Da ist die Kaba, die im Modell auch ein Kreuz ist, oder die Kaba, die zur Ikone der modernen Kunst, zu Malewitsch’s «Schwarzem Quadrat» wird.

Navid Tschopp ist ein ebenso subtiler wie wacher Künstler. Das Autobiografische ist immer ein guter Garant für Verbindichkeit, bei Navid Tschopp ist es aber auch Ausgangspunkt für Beobachtungen und Überlegungen grundlegender Art. So bringt er Begebenheiten und kulturelle Hinterlassenschaften ins Spiel, die von grosser gesellschaftlicher, weltanschaulicher und philosophischer Komplexität sind und entsprechend viel zu denken geben.
Claudia Spinelli

Navid Tschopp ist als Sohn seiner Schweizer Mutter Katharina Tschopp und seines iranischen Vaters Mehran Sadrosadat 1978 in Mashad, Iran geboren. 1987 übersiedelte er mit seiner Mutter in die Schweiz. Nach einer Lehre als Hochbauzeichner liess er sich zum Künstler ausbilden und schloss 2010 sein Studium mit einem Master of Arts in Fine Arts an der zhdk ab. www.navid.ch

Artikel im Kunstbulletin: Navid Tschopp - Auf Spurensuche in der eigenen Vergangenheit | Artlog.pdf [pdf, 906 KB]

Vernissage Freitag 12. Februar 18.00 bis 21 Uhr
Einführung in die Ausstellung Claudia Spinelli, Leiterin Kunstraum Baden 18.30 Uhr
Kunst über Mittag Donnerstag 10. März 12.30 Uhr   
Norooz Sonntag 20. März ab 18.00 Uhr
Norooz ist das persische Neujahr. Ein guter Anlass für Navid Tschopp, uns persisch zu bekochen.
Kunst über Mittag Freitag 8. April 12.30 Uhr
Künstlergespräch Mittwoch 27. April 19 Uhr
Mit dem Künstler und der Kuratorin

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